10-Jahres-Update*: Freie Software ist wie fairer Kaffee
Verantwortung übernehmen in der digitalen Welt1)
Computer, Internet, Smartphone – und schließlich noch die Künstliche Intelligenz: Die Digitalisierung hat so schnell unseren Alltag erobert, dass wir kaum Zeit hatten, sie wirklich angemessen in unser Leben zu integrieren. Geräte, Ausstattung und Know-How sind zu Statussymbolen geworden – das gerade angesagte Smartphone oder Tablet ist heute für viele wichtiger als eine statusträchtige Automarke. Da ist es nachvollziehbar, dass Begriffe wie Verantwortung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit nur sehr langsam Einzug in die digitalen Welten halten.
Es ist ein großer Verdienst der Europäischen Union, dass sie hier wichtige Meilensteine gesetzt hat und weiterhin dabei ist, das zu tun. So sorgt die Europäische Union etwa dafür, dass die Verbraucher ihre Geräte in Zukunft länger nutzen können.2)
Zur Einstimmung ein Blick zurück: fairer Kaffee
Seit 1980 geht in Deutschland an den Verkaufsständen entwicklungspolitischer Aktionsgruppen und in Welt-Läden Nicaragua-Kaffee als Produkt mit Symbolkraft über die Ladentheken. Dass fair gehandelter Kaffee, zertifiziert etwa durch das Fairtrade-Siegel2), es einmal bis in die Lebensmittel-Discounter schaffen würde, hat damals wohl kaum jemand geglaubt. Seit nunmehr 45 Jahren ist fairer Kaffee eine konkrete Hilfe für die Menschen in den Kaffee-Anbauländern, ein Zeichen der Hoffnung auf die Entwicklung von weltweiter Gerechtigkeit und auch Symbol der Erkenntnis, dass wir Verbraucher beim Griff in ein Verkaufsregal immer auch Politik machen.
Fairer Kaffee ist eine politische, eine wirtschaftliche und vor allem auch eine pädagogische Strategie in Richtung auf eine gerechtere Welt. Jeder einzelne Kaffeebauer, der durch fairen Handel ein gesichertes Auskommen hat, ist eine entwicklungspolitische Erfolgsgeschichte. Und es ist beim Kaffee wie bei vielen anderen Produkten: Sozialökonomische Lernprozesse in den Verbraucher- und in den Anbauländern sind meist untrennbar miteinander verbunden.
Es ist zu hoffen, dass der Geist des bewussten Konsums sich auch auf den Bereich von Digitalisierung und neuen Medien ausdehnt. Die Wichtigkeit des Themas ist unübersehbar, die richtigen Fragen werden schon gestellt und unterstützenswerte Initiativen gibt es auch.
Freie Software
Ob Kaffee, Bananen oder Fichtenwälder – inzwischen wissen wir nur zu gut, wie gefährlich Monopole sind. In der Welt der digitalen Medien wimmelt es von „So-gut-wie“-Monopolen. Manche Software erscheint vielen unverzichtbar, obwohl es durchaus Alternativen gibt. Diese Quasi-Monopole sind so stark, dass vielen die Begriffe Suchmaschine, Textbearbeitungsprogramm und Bildschirmpräsentation fremd sind. Ganz unreflektiert verwenden die meisten Nutzer sogar dann die Produktnamen der Marktführer, wenn de facto ein Konkurrenzprodukt gemeint ist.4)
Nicht nur in der Landwirtschaft begünstigen Monokulturen massenhaften Schädlingsbefall. Viren, Trojaner und andere Schädlingen können sich in den Computernetzen auch deshalb so gut ausbreiten, weil sie auf sehr vielen Computern praktisch identische Software-Konfigurationen vorfinden. Freie Software5) ist eine Alternative, die sich jeder leisten kann und die Diversität fördert. Ist freie Software kostenlose Software? Kostenlose Software muss nicht frei sein; freie Software6) wird aber von den Programmierern fast immer für die Benutzer kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Besondere bei freier Software ist, dass auch der Quelltext veröffentlicht wird. Man darf also in ihr Inneres schauen, Fehler beseitigen und sie den eigenen Anforderungen anpassen.
Freie Software ist – und das ist vielen nicht bewusst – eine tragende Säule unseres digitalen Alltags. Wer im Internet etwas sucht, nutzt in vielen Fällen eine Suchmaschine7), die mit dem freien Betriebssystem Linux betrieben wird, und die Seite, auf die die Suchmaschine uns führt, wird dann mit hoher Wahrscheinlichkeit vom freien Web-Server Apache ausgeliefert. Bezeichnend ist auch, dass auf der Liste TOP500 der weltweit schnellsten Supercomputer in den letzten Jahren nur Linux-basierte Systeme auftauchen.8) Was nichts koste, tauge nichts, sei allenfalls zweite Wahl für die zweite Reihe – dieses Vorurteil wird von freier Software widerlegt.
Für große Institutionen ist Freie Software ebenso interessant wie für den erfolgreichen Selbstständigen und den Arbeitslosen, der sich fortbilden möchte. Freie Software vereinfacht ganz massiv die Lizenzverwaltung. Firmen und IT-Spezialisten verdienen mit freier Software Geld, indem Sie etwa Support oder Wartung der Software anbieten. Und fast unabhängig vom eigenen Finanzrahmen bietet Freie Software die Möglichkeiten der Weiterbildung und des Einstiegs in eine IT-Karriere.
Mark Shuttleworth, 2002 als zweiter Weltraumtourist im All, sagt, dass er nur deshalb so reich werden konnte, weil freie Software rund um Linux ihm die Möglichkeit gab, als junger Unternehmer auf technisch hohem Niveau zu starten.9) Deshalb finanziert er heute die als besonders benutzerfreundlich geltende Linux-Distribution Ubuntu. Mit ihren fest angestellten Entwicklern treibt seine Firma Canonical, die Ubuntu heraus gibt, auch die Weiterentwicklung von Linux insgesamt voran.
Schließlich trägt Freie Software, wenn sie von den entsprechenden Stellen genutzt wird, auch zu digitaler Souveränität und einem „resilienten Staat“10) bei. Das hat auch das Bundesministerium des Innern und der Heimat (BMI) erkannt und 2022 das Kompetenz- und Servicezentrum ZenDIS gegründet. Ziel dieser Gründung ist insbesondere, „den Einsatz von Open-Source-Software in der Öffentlichen Verwaltung voranzutreiben.“11) So hat ZenDIS unter Rückgriff auf bestehende Open-Source-Projekte die freie Desktop-Umgebung openDesk12) entwickelt, die jetzt in einer ersten Version13) in verschiedenen Vertriebsmodellen zur Verfügung steht, unter anderem auch als freie Software.
Freie Software fördert in Verbindung mit freien Datenformaten Demokratisierungsprozesse, weil sie die Möglichkeiten der Datenverarbeitung und der Datenpräsentation weitgehend unabhängig von finanziellen Ressourcen bietet. Mit freier Software haben alle die Möglichkeiten zur Verfügung, die moderne Computer bieten. Je mehr Menschen freie Software benutzen, desto besser und akzeptierter wird sie. Ihre Verbreitung sorgt dafür, dass die aktive und qualifizierte Teilnahme an der digitalen Welt allen offen steht. Freie Software ist wie fairer Kaffee.
Wikipedia
Mit freier Software14) und unter Nutzung entsprechender freier Lizenzen können Projekte gestemmt werden, die ganz neue Maßstäbe setzen – das macht die Wikipedia deutlich. Dank der Wikipedia ist ein gutes und umfangreiches Lexikon – früher Privileg der Gebildeten in den reichen Ländern – heute für alle verfügbar. Dass die Wikipedia im qualitativen Vergleich mit anderen Lexika besteht, haben Untersuchungen15) längst bewiesen.
Dank der Copyright-Politik der Wikipedia, die umfassend auf freie Lizenzen setzt, können Bildungseinrichtungen auf der ganzen Welt von ihrem schier unermesslichen Materialfundus16) profitieren – und der beinhaltet neben Texten beispielsweise auch Bilder, Grafiken und Sound-Beispiele.
Konsequenzen
Es ist wichtig es für die Weiterentwicklung der demokratischen Gesellschaften, dass wir Verantwortung übernehmen, wenn wir den Einschaltknopf an Computer oder Smartphone betätigen. Es geht um soziale Gerechtigkeit, Teilhabe aller und Demokratie. Als Katholik wünsche ich mir ganz persönlich, dass sich da auch die Kirchen einmischen.
Anmerkungen
*, 1 Dieses 10-Jahres-Update mit Stand 04.04.2025 ist eine weitgehend überarbeitete Version meines Artikels „Freie Software ist wie fairer Kaffee“, der in Publik-Forum Nr. 7 – 2014 erschienen ist.
2 Vgl. beispielsweise https://eur-lex.europa.eu/DE/legal-content/summary/ecodesign-requirements-smartphones-mobile-phones-other-than-smartphones-cordless-phones-and-slate-tablets.html. Bei der in diesem Dokument beschriebenen Verordnung geht es
insbesondere um die Widerstandsfähigkeit der Geräte, die Haltbarkeit der
Akkus, die Update-Zeiträume für die Betriebssysteme und die
Reparaturfähigkeit.
3 Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Google, Abruf am 31.03.2025.
8 Auf https://en.wikipedia.org/wiki/TOP500, abgerufen am 02.04.2025, heißt es: "All the fastest supercomputers since the Earth Simulator supercomputer have used operating systems based on Linux. Since November 2017, all the listed supercomputers use an operating system based on the Linux kernel.
9 z.B. in dem hier dokumentierten Interview: http://www.heise.de/open/artikel/Interview-mit-Ubuntu-Initiator-Mark-Shuttleworth-221937.html.
10 ZenDiS auf der Kongressmesse „Digitaler Staat“: Souveränitätspaket
für einen handlungsfähigen und resilienten Staat (Pressemeldung), im
Netz unter https://admin.zendis.de/wp-content/uploads/2025_03_11-ZenDiS_Pressemeldung-Digitaler-Staat.pdf, Abruf vom 29.03.2025.
11 https://admin.zendis.de/wp-content/uploads/2025_03_11-ZenDiS_Pressemeldung-Digitaler-Staat.pdf,
Abruf vom 29.03.2025.
12 „Als Open-Source-Software stärkt openDesk die Digitale Souveränität
durch volle Transparenz und Kontrolle über den Quellcode. Zudem sorgt
diese Off enheit für hohe Sicherheit, da Sicherheitslücken schnell
erkannt und behoben werden können. Daten und Prozesse bleiben dadurch
zuverlässig geschützt.“ Quelle: https://gitlab.opencode.de/bmi/opendesk/info,
Abruf vom 29.03.2025.
13 openDesk 1.1 wurde am 24.12.2024 feigegeben. Vgl. dazu: https://www.opendesk.eu/.
14 „Wikipedia [...] ist ein gemeinnütziges Projekt zur Erstellung einer freien Enzyklopädie auf Basis des sogenannten Wiki-Prinzips und der
freien Wiki-Software-Plattform MediaWiki.“ Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia, Abruf vom 29.03.2025.
15 Vgl. z.B.: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/vergleichstest-wikipedia-schlaegt-die-profis-a-521457.html.
16 einschließlich ihrer Schwesterprojekte.